Auf allen Ebenen läuft derzeit die Aufarbeitung der Bundestags-Wahlergebnisse. Auch gestern bei der SPD-Mitgliederversammlung in Schnelsen gab es großes Interesse, viele gute Beiträge zur Analyse der Wahl und den Konsequenzen daraus sowie zu den Fragen der künftigen inhaltlichen, organisatorischen und personellen Ausrichtung der Partei.
Es war zu merken, dass das schlechteste SPD-Ergebnis seit Durchführung der Bundestagswahlen und der Einzug der AfD mit über 90 Abgeordneten allen noch in den Knochen steckt. Aber es war ebenso in allen Beiträgen zu merken, dass es jetzt gilt, die Ärmel hochzukrempeln und den Blick mit dem festen Willen nach vorne zu richten, künftig noch stärker für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und gegen die Vereinfacher und Scharfmacher zu kämpfen.
In der Analyse wurde noch einmal herausgearbeitet, wo und an wen die SPD Stimmen verloren hat und in welchen Bereichen der SPD-Rückhalt weiter abgenommen hat. Kritisch und deutlich benannt – das ist bei diesem Ergebnis unvermeidbar – wurden auch die Fehler in der Kampagne: Unsere Botschaften erreichten die Wählerinnen und Wähler nicht; es wurde an den Themen „vorbeigeredet“, die die Menschen bewegt haben; die Forderungen nach „Mehr Gerechtigkeit“ waren zu unkonkret und wurden uns teilweise wegen der Regierungsbeteiligung nicht abgenommen; die Zurückhaltung des Kandidaten während der Landtagswahlen im Frühjahr war ebenso Thema wie das problematische Verhältnis zwischen Kandidat und Kampagnenplanern, das nicht zuletzt in einer der letzten Spiegel-Ausgaben offengelegt wurde.
Dass der Weg der SPD – nach der klaren Abwahl der Großen Koalition – in die Opposition geht, wird von vielen Mitgliedern als folgerichtig angesehen. Viele sehen hier nach den verlorenen Bundestags-Wahlen die Chance für einen Neuanfang, wobei auch klar ist, dass allein die Oppositionsführerschaft nicht dafür garantiert, dass wir in absehbarer Zeit in der Wählergunst wieder zulegen. Warnende Beispiele gibt es leider genug und in den Niederlanden, in Frankreich oder Griechenland ist beispielsweise zu beobachten, dass sozialdemokratische Schwesterparteien der Sturz in die Bedeutungslosigkeit droht.
Hier einige der Punkte, die aus meiner Wahrnehmung für die künftige Diskussion wichtig sind:
- Mit der „Vierten industriellen Revolution“ stehen Arbeitswelt und Gesellschaft vor einer der zentralen Zukunftsherausforderungen. Die „Digitalisierung“ löst aber auch Befürchtungen aus, dass man mit den anstehenden Entwicklungen nicht standhalten kann. Für die SPD gilt es, die Chancen der Digitalisierung aufzuzeigen, politische Rahmen zu setzen und einzufordern.
- Ein Zukunftsthema ist nach wie vor „Aufstieg und Selbstverwirklichung durch Bildung„. Kostenfreie Bildungs-Angebote von der Krippe bis zum Studium sowie gute Betreuung und Qualitätsstandards erfordern dabei notwendige Investitionen in Bildungseinrichtungen und Personal. Hamburg hat hier in vielen Bereichen Maßstäbe gesetzt.
- Eine Neuausrichtung der Sozialen Marktwirtschaft, die nach wie vor als Erfolgsmodell gilt. Gerade in den letzten Jahren haben wir aber immer deutlicher die Auswirkungen eines ungezügelten Kapitalismus und staatlichen Versagens zu spüren bekommen. Die Folge: Frust und Vertrauensverlust in staatliche Institutionen. Überspitzt: Die Menschen müssen sehen, dass nicht nur Geld da ist, um vermeintlich „systemrelevante Banken“ zu retten, sondern auch um in Bildung, Infrastruktur und wichtige Bereiche der Daseinsvorsorge zu investieren. Das „Soziale“ in der Marktwirtschaft muss wieder erkennbarer werden.
- Gerechtigkeit als Markenkern der SPD darf nicht nur eine inhaltsleere Worthülse sein, sondern das konkrete Bemühen um Verbesserungen in den Gesellschafts-Bereichen, wo es offensichtliche Gerechtigkeits-Defizite gibt – wie bei der Befristung von Arbeitsverträgen, dem Thema Lohngerechtigkeit, Chancengleichheit der Geschlechter oder der Gesundheitsversorgung.
- Sicherheit ist ein Thema, was in zweierlei Hinsicht bewegt: Zum einen die eigene „soziale Sicherheit“ mit der Fragen einhergehen wie: Was passiert, wenn ich meinen Job verliere? Kann ich von meiner Rente später leben? Kann ich mir auch künftig von meinem Einkommen/ meiner Rente eine bezahlbare Wohnung leisten? usw. Zum anderen auch die Frage, wie es um das „Sicherheitsbedürfnis“ im Alltag bestellt ist. Angesichts von Terrorszenarien, Anschlägen, Krawallen bspw. bei G20 oder auch Angriffen im Internet, gibt es die berechtigte Erwartung, dass Polizei und staatliche Institutionen gut ausgestattet und verantwortungsbewußt mit diesen Bedrohungslagen umgehen.
- Die SPD war und muss weiter die internationale Partei in unserem Land sein und sich noch viel pointierter und klarer um überzeugende internationale und europäische Antworten auf die anstehenden Fragen unserer Zeit bemühen. Dem zunehmenden Rückfall in den Nationalismus – wie in vielen anderen europäischen Regionen zu beobachten – müssen SozialdemokratInnen entschieden begegnen, was leider auch nicht überall der Fall ist. Emmanuel Macron hat gezeigt, dass auch mit pro-europäischer Haltung Wahlen zu gewinnen sind.
- Und aus meiner Sicht ist – auch historisch gesehen – nach wie vor das Alleinstellungsmerkmal der SPD, dass wir uns seit jeher mehr um den „sozialen Zusammenhalt“ bemühen: In den Stadtteilen, Kommunen, im Bund, in Europa, weltweit. Wir zeigen seit über 150 Jahren, dass wir gegen ein Auseinanderdriften der Gesellschaft, gegen Populisten von Rechts und Links, gegen Vorurteile und Ausgrenzung kämpfen.
In der über 2 1/2-stündigen lebhaften Debatte ging es dann fast ausschließlich um Inhalte und Vorschläge zur Schwerpunktsetzung. Es war bemerkenswert und erfreulich zugleich, dass sich die Mitglieder mit großer Leidenschaft statt mit Personal- und Organisationsfragen vor allem damit befassten, was die SPD für den sozialen Zusammenhalt, Integration, die Stärkung Europas, den Abbau von Gerechtigkeitsdefiziten oder im Zusammenhang mit der Digitalisierung tun kann.
Glaubwürdiges Handeln, das Eintreten für klare Überzeugungen und ein Spitzenpersonal, das dieses überzeugend vertritt: Dieser Dreiklang bringt uns mittelfristig hoffentlich wieder in die Lage, (Bundestags-)Wahlen zu gewinnen und sozialdemokratische Politik zum Wohle der Menschen umzusetzen.
Vielen Dank für die Einladung, die guten Diskussionen und die Moderation vom Schnelsener Vorsitzenden Matthias Ederhof!